Texte
von Christian Schuster
Joseph Haydn
* 31. März 1732
† 31. Mai 1809
Sonata per il clavicembalo o forte-piano con un violino e violoncello . Opera 57 [Nr.2, e-moll, Hob. XV:12]
Komponiert: | Eszterháza und Wien, August 1788 - März 1789 |
Die Vor- und Entstehungsgeschichte jener hochbedeutenden Triogruppe, deren Mittelstück unser E-Moll-Trio ist, und deren Erscheinen den Haydnschen Kontrapunkt zum 14. Juli 1789 darstellt, ist voll von pittoresken Details. Sie illustrieren einerseits einige Charakterzüge Haydns, die auf erfrischende Weise mit der Kunstfigur des biederen „Papa Haydn“ disharmonieren. Daneben bezeugen sie aber auch ganz unmißverständlich, daß Schaffensprozeß und –bedingungen bei Haydn durchaus nicht jener Komplikationen entbehren, welche die Musikhagiographie erst als Leidensattribute Beethovens und seiner Nachfolger kennt.
1781 hatte der britische Gesandte in Wien, General Charles Jerningham, ein Freund der Familie Esterházy, dem Londoner Verleger William Forster einen Kontakt zu Haydn vermittelt. Nachdem Forster bei Haydn ein (traditionsgemäß aus drei Werken bestehendes) Trio-Opus bestellt hatte, hatte dieser neben einer eigenen Komposition (Hob. XV:5) zwei Sonaten für Klavier und Violine seines Lieblingsschülers Ignaz Pleyel (1757-1831) abgeliefert; die Pleyelschen Werken hatte entweder Haydn selbst oder aber einer seiner Schüler bei dieser Gelegenheit um eine Cellostimme ergänzt, und in dieser Form war die ganze Werkgruppe 1785 von Forster unter Haydns Namen veröffentlicht worden. Da die Pleyelschen Originale aber ausgerechnet vom Londoner Verleger Longman & Broderip vertrieben wurden, der als Geschäftspartner von Haydns Wiener Hauptverlag Artaria für alles, was Haydn betraf, einen besonders aufmerksamen Blick hatte, und England damals das einzige Land war, in dem musikalisches Urheberrecht auch einklagbar war, wuchs sich die Angelegenheit, die in Haydns Augen wohl nicht einmal ein Kavaliersdelikt dargestellt hatte, alsbald zu einem ebenso langwierigen wie peinlichen Rechtsstreit aus, der erst während Haydns zweiten England-Aufenthaltes außergerichtlich beigelegt werden konnte.
Zum Glück war die daraus resultierende Verstimmung zwischen Haydn und Artaria nicht von langer Dauer. Zwar hatte Haydn noch am 28. Februar 1788 an Forster geschrieben:
„So Vil versichere ich Sie, daß, so lang ich leben werde, weder Artaria, noch Langmann von, oder durch mich etwas erhalten sollen. ich bin zu Ehrlich, und Rechtschaffen, als daß ich Sie kräncken, oder Ihnen schädlich seyn solle.“
Aber schon unter dem Datum des 10. August 1788 lesen wir in einem Brief an Artaria:
„Wohl gebohrner Sonders Hochzu verEhrender Herr! [...] Ich widerhole es, daß ich mir jederzeit ein vergnügen daraus machen werde, Ihnen mit meinen Arbeithen dienen zu könen!“
Die Art, wie diese Versöhnung besiegelt werden soll, ist durchaus naheliegend – und Haydn wie immer von entwaffnender Treuherzigkeit:
„Da ich nun in einer Lage bin, wo ich etwas geld gebrauche, so erbiethe ich mich, daß ich Ihnen bis Ende Decembris entweder 3 neue Quartetten, oder 3 neue mit einer Violin, und Violoncello begleite[te] Clavier Sonaten verfertigen wolle, bitte hingegen mir diesen künfftigen Mittwoch mit unseren abgehenden Husaren 25 Species Ducaten a conto zu überschücken.“
Daß Artaria sich für die Trios entscheidet, mag wohl mit der Vorgeschichte der Verstimmung zu tun haben – für die Geschichte des Klaviertrios ist es jedenfalls eine segensreiche Wahl: Mit diesen drei Werken und dem nachfolgenden As-Dur-Trio (Hob. XV:14) bereitet sich Haydn in idealer Weise auf jenes große Abenteuer vor, als welches das Ensemble seiner letzten fünfzehn Klaviertrios (1794-97) in die Gattungsgeschichte eingehen wird.
„Mein Fleiß über die 3 anverlangte[n] Clavier Sonaten mit begleitung einer Violin, und Violoncello – wird bürge seyn Ihre freundschaft fernerhin zu erhalten.“
verspricht Haydn Artaria am 17. August 1788 feierlich; und in der Tat scheint er sich diesmal mit ganz besonderer Gründlichkeit an die Arbeit zu machen. Sein bevorzugter Klavierbauer, Wenzel Schanz, muß ihm eigens dafür ein neues Instrument liefern – eine Anschaffung, die für den Fürstlich Esterházyschen Hofkapellmeister offenbar alles andere als eine Lappalie ist:
„Um Ihre 3 Clavier Sonaten besonders gut zu componiren, ware ich gezwungen ein neues Forte-piano zu kaufen. nun da es Ihnen schon längst bekant seyn wird, daß auch denen gelehrten zu zeiten das geld mangelt, unter welchen es auch jezo mich betrifft, so habe ich Euer wohlgebohren höflichst ersuchen wollen, dem Herrn orgl und Instrument Macher Wenzl schanz wohnhafft auf der leimgruben bey den blauen schif No.22. 31 Species Ducaten zu bezahlen, welche 31# ich bis Ende Jenner künftiges Jahr 1789 mit Dank zurückbezahlen werde. [...] Die Interesse[n] werd ich mit Notten ersetzen.“
(Brief an Artaria vom 26. Oktober 1788)
Für Artarias bereitwilliges Eingehen auf seine Bitte – wie sehr würde man sich wünschen, daß solche Abmachungen öfter getroffen würden! – bedankt sich Haydn drei Wochen später (16. November) mit dem erneuten Versprechen:
„ich werde nicht allein mit der zurückbezahlung, sondern auch mit den 3 neuen Sonaten, wovon schon anderthalb verfertigt, zur bestimten Zeit wort halten.“
Es ist, nach Haydns Zeugnis, die Willkür seines fürstlichen Brotherren, die ihn an der pünktlichen Einhaltung des Liefertermines hindert. Nikolaus I. hatte den traditionellen Wienaufenthalt früher als gewohnt und völlig abrupt abgebrochen; und Haydn, dem das Leben auf Eszterháza inzwischen schon ebenso verhaßt ist wie dem Fürsten dasjenige in Wien, reagiert mit Symptomen, die nicht mehr der Welt eines gottergebenen Domestiken entstammen. Am 8. März 1789 schickt er aus Eszterháza die ersten zwei der drei Trios (Es-Dur und e-moll) an Artaria mit der Erklärung:
„Die gähe entschliessung Meines Fürsten sich von d. verhasten Wienn zu entfernen, verursachte meine schleunige Reise nach Estoras, und hinderte, mich von dem grösten Theil meiner Freunden nicht beurlauben zu können, derohalben werden auch Sie mich hierinfals Excusiren. an den Tag meiner Abreise überfiel mich ein so heftiger Cathar, daß ich ganze 3 Wochen unbrauchbahr ware, nun aber Gott sey Dank befinde ich mich besser. verspreche auch die 3te Sonate heut über 8 Täg einzuschücken.“
Der schließlich am 29. März 1789 fertiggestellte Zyklus wird Haydns Wunsch gemäß – „Bitte alle 3 bald möglichst zum Stich zu befördern. weil schon viele mit Schmerz darauf warten.“ – gleich zur Herausgabe vorbereitet. Zwar bittet Haydn eine Woche später, das Drängen des vorangehenden Schreibens relativierend, noch ausdrücklich darum, die Sonaten mögen „sauber und leserlich gestochen“ werden; nach dem Eintreffen der ersten gedruckten Exemplare in Eszterháza muß er aber in seinem Brief an Artaria vom 5. Juli dann doch klagen:
„[...] nur bedaure ich, daß hie und dort einige fehler mit eingeschliechen sind, welche nunmehro nicht mehr abgeändert werden könen, weil Sie schon verschückt, und zum Verckauf hindan gegeben worden. es ist immer schmerzlich für mich, daß noch kein einziges Werck unter Ihrer auf sicht fehler frey ist [...]“
Nicht erst dieses Lamento, schon die ganze ungewöhnlich gut belegte Entstehungsgeschichte läßt erahnen, daß Haydn an seinem Opus 57 in besonderer Weise gelegen sein muß, und er diesen Werken eine nicht alltägliche Bedeutung beimaß. (In schärfstem Kontrast dazu steht der Umstand, daß diese Werkgruppe in der Konzertpraxis noch weit mehr vernachlässigt wird als die späteren Trios.) In der Entwicklung von Haydns Triostil markieren die drei Stücke ohne Zweifel einen kritischen Punkt: Rückbezug und Vorgriff stehen hier in einem besonders subtilen Mischungsverhältnis, und es ist wohl dieser „Übergangscharakter“, der diesen Werken einen ganz besonderen Zauber verleiht.
Rein äußerlich gleicht der Aufbau der Gruppe recht genau derjenigen der vorangegangenen Triade (Hob.XV:6-8) – auch dort hat Haydn ein dreisätziges Zentralwerk zwischen zwei zweisätzige Stücke gestellt, und hier wie dort steht das Mittelstück in einem besonderen tonalen Spannungsverhältnis zu den beiden umgebenden Trios. Doch ist diese Spannung hier noch sehr deutlich geschärft: Ein erstes Mal begegnen wir hier dem charakteristischen Halbtonschritt, der für die Tonartenfolge der Haydnschen Triogruppen (mit Ausnahme von op.70 / Hob. XV:18-20) unentbehrlich werden wird. Hier ist es – im Gegensatz zu dem Verfahren in den späteren Trios – ein Halbtonschritt aufwärts, und es ist eben dieser Schritt, der im Kopfsatz unseres E-moll-Trios (Allegro moderato) die Atmosphäre empfindsamer Leidenschaft nachhaltig betont. (Der Effekt muß bei der zyklischen Aufführung der ganzen Werkgruppe nach dem willkürlich verzögerten Es-Dur-Schlußakkord des Eröffnungswerkes von geradezu caravaggesker Wucht sein; überhaupt ließe sich in einer solchen unmittelbaren Gegenüberstellung das ganze Incipit als eine kontrastierende Paraphrase des Anfangs des Es-Dur-Stückes lesen.)
Im Mittelsatz (Andante, E-Dur) ist das Wunder von Hob. XV:28 schon vorweggenommen: die selbe Tonart wird mit den selben instrumentatorischen Mitteln beschworen – auch wenn die zugrundeliegende Klangfarbe hier deutlich heller, „kindlicher“ erscheint. Der unerwartete Rückgriff auf das E-moll des Kopfsatzes schenkt der Reprise noch zusätzlichen Reichtum; diese Rückbesinnung ist aber nicht nur poetisch, sondern auch dramaturgisch gut motiviert, denn das abschließende Rondo (Presto), behält das wiedergewonnene E-Dur als Haupttonart bei und verweist die Ausgangstonart in das enge Verlies der ersten Episode, wo sie denn auch recht grimmig mit den Ketten rasselt. Die Mittelepisode (cis-moll) mündet hingegen in einen schwindelerregenden Wirbel, in der nur der Auftakt des Ritornells unermüdlich wiederholt wird – von hier scheint ein direkter Weg zu der berühmten „Anapäst-Epidemie“ im Finale von Beethovens E-moll-Streichquartett (op. 59 Nr.2) zu führen. (Nr für Statistiker: Haydn bringt es hier auf gezählte 23 Anapäste in zwei- und dreistimmigem Satz, während Beethoven im Razumovskij-Finale mit 34 alternierenden aufwartet.) Doch während sich bei Beethoven die Verwirrung in bestärkte Sicherheit auflöst, läßt Haydn die Instrumente in unversöhnlicher Engführung aufeinanderprallen, bis die Stimmen sich wie die Geweihe erbittert kämpfender Böcke ineinander verkeilen. Diese Eskapade kostet das Rondo denn auch ein ganzes Ritornell – was aber den Komponisten durchaus nicht daran hindert, das Werk in bester Laune zu beschließen.
Es ist diese unnachahmliche Mischung von lyrischen Eingebungen und ingeniösen „Kniffen“, von rhetorischer Eindringlichkeit und gelöster Weite, welche den Trios dieser „Übergangsperiode“ ihren singulären Rang sichert und sie ebenso bemerkenswert macht wie ihre (ein wenig) bekannteren jüngeren Geschwister.