Texte
von Christian Schuster
Joseph Haydn
* 31. März 1732
† 31. Mai 1809
Sonate F-Dur, op. 45 Nr. 1/Hob. XV:6 (1784)
Komponiert: | Eszterháza, 1784 | |
Widmung: | Mária Anna Viczay de Hédérvar et Loos (Nagylózs), geborene Grassalkovics de Gyarak (1760-1815) | |
Uraufführung: | nicht dokumentiert | |
Erstausgabe: | Artaria, Wien, April 1786 |
Als die Wiener Zeitung am 26. April 1786 endlich das Erscheinen von drei neuen Haydnschen Klaviertrios anzeigen konnte, hatte dieses Opus, das die endgültige Rückkehr Haydns auf dieses von ihm so lange vernachlässigte Gebiet besiegelt, schon einiges über sich ergehen lassen müssen. Der Komposition der drei Werke waren über mehrere Jahre hinweg immer erneuerte Anfragen und Ersuchen vorausgegangen, die den Meister auf das in seinen Jugendjahren so liebevoll und originell bedachte Terrain zurücklocken sollten. Ein wenig unwillig hatte Haydn im Herbst 1784 dann endlich eine Dreiergruppe von Trios für den besonders beharrlichen Londoner Verleger William Forster sen. (1739-1808) „fertig gemacht“, genauer gesagt: er hatte sein zu diesem Zweck komponiertes G-Dur-Trio (Hob. XV:5) zusammen mit zwei Werken seines begabten Schülers Ignaz Pleyel (1757-1831) am 25. Oktober 1784 aus Eszterháza an Forster nach London geschickt. Die Weiterungen, die dieser (in jener Zeit allerdings fast alltägliche) „Etiquettenschwindel“ nach sich zog, einschließlich des sich daran anschließenden Gerichtsprozesses, der Haydn noch bei seinem zweiten Londoner Aufenthalt 1794 beschäftigen sollte, sind in der Haydn-Literatur besonders breit und akribisch beschrieben worden, und wir können uns daher weitere Erörterungen dieser ein wenig peinlichen Angelegenheit ersparen.
Man könnte freilich den Eindruck gewinnen, die Verwendung fremden Eigentums zur Befriedigung der immer dringender werdenden Nachfrage nach den modischen Klaviertrios drücke vor allem Haydns Desinteresse an der Sache aus. Wenn es wahrscheinlich auch einen Zeitpunkt gegeben hat, für den das wirklich zutrifft, so folgt doch aus Haydns Verhalten in den folgenden Monaten, daß die eher unfreiwillige Widerbegegnung mit seiner kammermusikalischen „Jugendliebe“ in ihm – vielleicht sogar für ihn selbst recht überraschend – ein neues Feuer entfacht hatte. Denn im Zuge der Vorarbeiten zu seiner großangelegten (und bei seinem Tod unvollendet gebliebenen) Haydn-Biographie konnte Carl Ferdinand Pohl am 16. April 1868 im Esterházyschen Archiv ein mit 1784 datiertes fragmentarisches Autograph eines zusätzlichen, nicht an Forster gesandten (und wahrscheinlich nach dem 25. Oktober 1784 komponierten) Klaviertrios, eben unseres F-Dur-Trios Hob. XV:6 einsehen – diese auf acht Partiturseiteneiten die ersten 100 Takte des Kopfsatzes unseres Werkes umfassende kostbare Quelle ist seither spurlos verschwunden.
Das Autograph des zweiten für Artaria komponierten Trios der neuen Serie, Hob. XV:7, D-Dur, ist eines der ganz wenigen Klaviertrios, deren Autograph vollständig erhalten ist – es befindet sich in Londoner Privatbesitz und ist (wie das ebenfalls komplett eigenschriftlich überlieferte A-Dur Trio aus der zweiten Forster-Gruppe) mit 1785 datiert. Die beiden anderen Werke, mit denen Haydn unser F-Dur-Werk zu einer Triade für den Wiener Verleger Artaria vervollständigte (dem D-Dur-Trio folgte als Abschluß der Serie ein Trio in B-Dur, Hob. XV:8, von dessen Autograph sich keine Spur erhalten hat), waren also allem Anschein nach noch deutlich vor der nächsten, am 28. Oktober 1785 an William Forster übersandten Werkgruppe fertig. (Diese sollte dann die zwei Originalwerke Hob. XV:9, A-Dur, und Hob. XV:10, Es-Dur, beinhalten, zwischen die Haydn die Bearbeitung eines wesentlich früher entstandenen Werkes für Cembalo, Baryton und zwei Geigen, Hob. XV:2, F-Dur, stellte.)
Haydn muß die Stichvorlagen zu der Werkserie Hob. XV:6-8 spätestens im Frühherbst an Artaria übergeben haben. Im Unterschied zu den beiden für London bestimmten Opera hatte Haydn diesmal – und auch das spricht dafür, daß man hier den Beginn einer neuen Etappe in Haydns Trioschaffen sehen darf – eine Widmungsträgerin bestimmt: Die drei neuen Trios waren der 25jährigen Enkelin von Fürst Nikolaus Esterházy, Mária Anna Grassalkovics, zugedacht, die schon 1776 am Vorabend ihres 16. Geburtstages in Eisenstadt an Graf Mihály Viczay de Hédervár et Loos verheiratet worden war.
Daß Haydn dieser Widmung besondere Bedeutung beimaß, läßt sich zwischen den Zeilen des folgenden Briefes an seinen Wiener Verleger Francesco Artaria (1744-1808) lesen, mit dem er am 26. November 1785 aus Eszterháza die Fertigstellung des Stiches urgiert:
Liebster Freund!
Bitte sehr höfflich, mich mit Montagigen fürstlichen Husaren zu berichten, ob meine Sonaten schon gestochen, und wan Sie dieselbe der gräfin Witzey übergeben werden; die ursach, warum ich es gerne wissen möcht, ist, weil ich noch vor unserer abreiß, welche längstens in 14 tagen geschehen wird, der gräfin auf Ihr. Gut eine Visit machen möchte; ich wartete immer auf den Ersten abdruck deren Sonaten um sie zu Cor[ri]giren, weil ein fehler ist, der verbessert werden mus.
Haydns Formulierung „ich wartete immer“ läßt darauf schließen, daß die „Sonaten“, eben unsere drei neuen Klaviertrios, sich schon geraume Zeit im Besitz Artarias befunden haben müssen. Was der „fürstliche Husar“ zwei Tage später zu berichten hatte, wissen wir nicht, aber immerhin hatte Haydns Schreiben zur Folge, daß der Komponist zwei Wochen später, am 8. Dezember 1785, endlich den Korrekturabzug in Empfang nehmen konnte. Das Entsetzen, das ihn beim Anblick dieser Probefahnen erfaßte, verschlug ihm zunächst die Rede, aber am 10. Dezember machte er, nachdem er sich einen ersten Überblick über das Ausmaß der Katastrophe verschafft hatte, seinem Ärger Luft:
Mon tres cher Amj!
Ich erhielte vorgestern die Clavier Sonaten mit gröster Verwunderung des schlechten stiches wegen, und denen so vielen ärgerlichen fehlern, welche in allen stimen besonders in der Clavier stim ansehen muste, ich ware anfangs So toll, daß ich Ihnen das geld zurück senden, und die Partitur deren Sonaten augenblicklich nach berlin den Herrn Hummel zusenden wollte, weil ich mir wegen denen hier, und da, unlesbahren, übel, aus-, und eingetheilten Stellen wenig Ehre, und Sie hiedurch wenig Nutzen verschaffen werden. Jeder, der Sie kaufft, wird bey Abspiellung über den Stecher fluchen, und zu spielen aufhören. [...] ich wollte lieber aus mein. eigenen Sack noch 2 blatten gezahlt haben, als solche Verwürrung ansehen. Jeder Meister hat zu studiren, bis er diese Stelle auseinander setzt, was wird erst der Dilettante machen. [...] Versetzte Notten, ausgelassene Notten giebt es gewaltig Viel; [...] ich hab gestern den ganzen und heut den halben tag mit Cor[ri]giren zugebracht, und da hab ich es nur obenhin überschaut.
bester Freund, machen Sie demnach, daß alles verbessert wird, sonst haben wür beede wenig Ehre – übrigens hoffe ich Sie selbst bald zu sehen, und bin mit aller Hochachtung/Dero
ganz gehorsamer diener
Joseph Haydn mppria
Ob Haydn den geplanten Besuch bei der jungen Widmungsträgerin der Trios auf ihrem Gut in Nagylózs – etwa 14 km südwestlich von Eszterháza – trotz der höchst unbefriedigenden äußeren Form seines Geschenks wirklich gemacht hat oder nicht, ist nicht überliefert. Hingegen läßt sich aus den Quellen schließen, daß Francesco Artaria sich schließlich keinen anderen Ausweg aus der verfahrenene Situation wußte, als seinen Mainzer Konkurrenten Bernhard Schott (1748-1809) um Hilfe zu bitten, denn dieser berichtet in einem Schreiben an Johann Georg Batton (1740-1828), den Canonicus und Bibliothekar des Frankfurter Bartholomäusstiftes, vom 3. Jänner 1786 ganz nebenbei:
„Artaria hat mich gebeten die verdorbenen Klaviertrios für die Gräfin Witzay zu reparieren. Ich werde sie also schleunigst stechen.“
Die kollegiale Hilfe wurde freilich nicht an die große Glocke gehängt – denn außer diesem recht versteckten Indiz, das nur dem unbestechlichen Kriminalistenblick des leidenschaftlichen Haydnforschers Anthony van Hoboken nicht entgehen konnte, finden sich keine weiteren Belege dafür, daß (wie anzunehmen ist) das Ende April endlich dem Publikum vorgelegte Druckwerk in Mainz und nicht in Wien gestochen wurde; eine, wie man es auch wendet, blamable Schlappe für das Wiener Verlagshaus, das übrigens selbst von einem in Mainz gegründeten Unternehmen (Giovanni Artaria & Co., 1765) abstammt.
Immerhin scheint das Ergebnis der Rettungsaktion so erfreulich gewesen zu sein, daß Friedrich Rellstab (1759-1813), der Vater des später von Schubert im „Schwanengesang“ verewigten Dichters und Gründer der ersten Berliner Musikalienhandlung, bei der Ankündigung des Erscheinens der neuen Trioreihe in den „Königlich privilegierten Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“ (vulgo der „Spenerschen Zeitung“) am 3. Juni 1786 unwidersprochen „vom Wiener prächtigen Originalstich“ schreiben konnte – und somit war Wiens Ehre als Musikstadt wieder einmal gerettet.
Die Sonaten selbst haben aber freilich zum Ruhm Wiens noch weit mehr beigetragen als der nicht ganz lupenreine „prächtige Originalstich“; und daß die drei Trios im Konzertleben nicht öfter zu hören sind, mag zwar mit der Fülle der im folgenden Jahrzehnten entstandenen jüngeren Schwesterwerke zu erklären sein, bedauerlich bleibt es allemal.