Texte
von Christian Schuster
Joseph Haydn
* 31. März 1732
† 31. Mai 1809
Quintett für Klavier, zwei Hörner, Violine und Violoncello, Es-Dur Hob.XIV:1
Komponiert: | Eisenstadt, um 1765 (oder Dolní Lukavice, Böhmen, um 1760?) | |
Uraufführung: | nicht dokumentiert | |
Erstausgabe: | Hummel, Amsterdam, 1767 |
Bei der Datierung dieses Werkes sind wir auf Vermutungen angewiesen. Seit 1763 verfügte Haydn in der Esterházyschen Kapelle über nicht weniger als vier Hornisten, und er schöpfte die sich dadurch bietenden Möglichkeiten in der Instrumentation zweier Symphonien in D-Dur (Hob.I:13 und Hob.I:72) auch sofort aus. 1765 werden zwei der Hornisten durch jüngere und fähigere Kräfte ersetzt. Die in diesem Jahr komponierte D-Dur-Symphonie (Hob. I:31, bekannt unter den Beinamen „Mit dem Hornsignal“ oder „Auf dem Anstand“) zeigt eindeutig, daß dem Komponisten nun eine erstklassige Horngruppe zu Gebote stand. Kein Wunder also, daß sich Haydns Vorliebe für dieses Instrument ( – schon 1762 hatte er ein Hornkonzert geschrieben – ) noch steigerte: In den folgenden Jahren schrieb er nicht weniger als zehn Divertimenti, in denen zwei Hörner mit einem Baryton, dem Lieblingsinstrument des Fürsten Nikolaus, und anderen Streichinstrumenten konzertieren. Von all diesen Werken – einem Quartett, zwei Quintetten und sieben Oktetten – sind leider nur zwei vollständig überliefert; in den meisten Fällen ist die Baryton-Stimme verschollen, was einen böswilligen Kommentator auf den Gedanken bringen könne, der fürstliche Dilettant sei mit seinen Noten nicht sehr sorgsam umgegangen.
Die erste Erwähnung unseres Werkes findet sich in einem Verlagskatalog der Leipziger Firma Breitkopf aus dem Jahre 1766. Ein Jahr später gab der deutsch-niederländische Verleger Johann Julius Hummel das Werk in Amsterdam heraus. Sein Interesse gerade an diesem Stück könnte damit zu tun haben, daß er selbst, ebenso wie sein Bruder und Geschäftspartner, ausgebildeter Hornist war. Dennoch scheinen die Brüder gewußt zu haben, daß gute Hornisten nicht überall verfügbar waren, und so gute wie in der Esterházyschen Kapelle vielleicht überhaupt nirgendwo sonst; daher gaben sie ihrer – übrigens von Haydn nicht autorisierten – Ausgabe zwei alternative Bratschenstimmen bei. An der Zusammenstellung der Werke dieser Erstausgabe kann man auch ersehen, daß unser Stück schon von den Zeitgenossen als eine erweiterte Variante des Genres Klaviertrio betrachtet wurde: J. J. Hummel stellte unserem Quintett – immer unter der selben apokryphen Opusnummer IV – fünf Klaviertrios des Meisters voran (Hob. XV:37, Hob. XV:C1, Hob.XIV:6, Hob. XV:39 und Hob.XV:1), von denen freilich zwei recht willkürliche, anonyme Bearbeitungen Haydnscher Klaviersonaten sind.
Gerade diese Nähe zu den Klaviertrios ist es aber, die unsere sich nach all dem bisher Gesagten aufdrängende Vermutung, das Werk sei um 1765 in Eisenstadt komponiert worden, wieder ins Wanken bringt. Auf jeden Fall ist es merkwürdig, daß es sich hier um die einzige uns bekannte Komposition Haydns handelt, in der die Hörner der fürstlichen Kapelle mit dem Cembalo anstelle des vom Fürsten bevorzugten Baryton kombiniert werden. Könnte unser Quintett nicht vielleicht doch – wie H. C. Robbins Landon in seiner fundamentalen (und unerklärlicherweise noch immer nicht ins Deutsche übersetzten) Haydn-Biographie mutmaßt – an einem anderen Hof entstanden sein, nämlich dem des Grafen Morzin, in dessen Dienst Haydn ab 1759 stand? Dann nämlich bestünde für die Verwendung des Cembalos ein sehr nachvollziehbarer Grund: das Spiel der Gräfin Morzin, einer Musikliebhaberin, die den jungen Komponisten sehr beeindruckte, wie wir aus einer uns von Georg August von Griesinger in seinen 1810 erschienenen „Biographischen Notizen über Joseph Haydn“ überlieferten Anekdote wissen. Haydn selbst soll die Geschichte gerne und oft erzählt haben – also dürfen wir uns erlauben, sie hier einzufügen: Bei einer gemeinsamen Probe habe die Gräfin (wohl Wilhelmine, geborene Freiin von Reisky) sich über die Noten gebeugt, wobei ihr Busentuch auseinanderfiel. „Es war das erste Mal, daß mir solch ein Anblick ward; er verwirrte mich, mein Spiel stockte und die Finger blieben auf den Tasten ruhn. »Was ist das, Haydn!« rief die Gräfin. »Was treibt Er da?« – »Aber, gräfliche Gnaden!« versetzte ich. »Wer sollte auch hier nicht aus der Fassung kommen?«“
Als Indiz für eine Entstehung des Werkes bei Graf Morzin in Dolní Lukavice könnte man vielleicht auch gelten lassen, daß in der Bibliothek des südmährischen Kremsier (Kromeriz) eine sehr frühe Abschrift des Werkes aufgefunden wurde. Wann und für wen auch immer unser Quintett aber geschrieben wurde, es ist jedenfalls schon bester Haydn: die drei kurzen Sätze – Moderato, Menuet und Allegro, alle in Es-Dur – quellen vor Ideen nur so über. Esprit und Noblesse kennzeichnen die Themen und ihre durchwegs originelle Verarbeitung, in der sich übrigens schon vieles von Haydns unerschöpflicher Variationskunst vorausahnen läßt. Einzig das harmonische und formale Gerüst mutet ein wenig bieder an, wenn man die späteren Errungenschaften des Komponisten auf diesen Gebieten im Ohr hat. Über allem aber steht die vitale Ursprünglichkeit, der diese Musik ihre nie verblassende Frische verdankt.