Texte

von Christian Schuster

Josef Bohuslav Foerster


* 30. Dezember 1859
† 29. Mai 1951

Trio Nr. 2, B-Dur, op. 38


Komponiert:    Hamburg, 1894
Erstausgabe:    Universal Edition, Wien, 1918

Der außerhalb seiner tschechischen Heimat nur sporadisch gewürdigte Josef Bohuslav Foerster, von dessen drei Klaviertrios wir die ersten beiden in das Programm unserer diesjährigen Konzertreihe aufgenommen haben, entstammt einer überaus produktiven Musikerfamilie. Schon der Großvater, Josef (I) Foerster (1804-1892) wirkte fünf Jahrzehnte lang als Regens chori und Lehrer in Osenice; seine sechs Kinder schlugen alle die musikalische Laufbahn ein – zwei der fünf Söhne, Josef (II) und Antonín, wurden bedeutende Organisten und Komponisten: Josef (1833-1907), den man einen „tschechischen Bruckner“ genannt hat, wurde 1892 als vierter Musiker (nach Dvoøák, Bendl und Fibich) außerordentliches Mitglied der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Sein Bruder Antonín (1837-1926) wurde 1865 als Kathedralorganist nach Senj (Kroatien) berufen; ab 1867 wirkte er dann in Ljubljana und wurde neben Benjamin Ipavec (1829-1909) und Fran Gerbiè (1840-1917) einer der Führer der slowenischen romantischen Schule und Komponist der ersten slowenischen Oper (1870/71). – Josef (II) kam 1857 als Organist nach Prag und heiratete hier am 9. Jänner 1859 seine Schülerin Marie Hladíková (1838-1878). Josef Bohuslav war das erste von fünf Kindern dieser Verbindung und sollte der bei weitem prominenteste Vertreter der Dynastie werden. Schon frühzeitig trat er mit den Größen des tschechischen Musiklebens in persönlichen Kontakt – Smetana, Dvoøák, aber auch der junge Janaèek gehörten zum Freundes- und Bekanntenkreis der Familie. Der vielseitig begabte Josef Bohuslav – neben dem Orgelspiel betrieb er Gesang, Schauspiel und Malerei – brach schließlich sein Studium an der Prager Technischen Hochschule ab, um sich ganz der Musik widmen zu können. Ab 1882 wirkte er als Organist an verschiedenen Prager Kirchen; 1888 heiratete er die Sopranistin Berta Lautererová (1869-1936). Als sie 1893 an die Hamburger Oper engagiert wurde, folgte er ihr dorthin. Mit dem dort wirkenden Gustav Mahler verband ihn bald eine enge Freundschaft.

Noch vor seinem Abschied von Prag hatte Foerster seine II. Symphonie (F-Dur, op. 29) beendet, die er dem Andenken seiner Schwester Marie (1863-1889) geweiht hatte. Die Erinnerung an den Augenblick, als er mit seinem Bruder und seinem Vater in Olmütz die Tote vorgefunden hatte, war nicht verblaßt:

„Es war in einem alten, ärmlichen Hause. Über einen schmutzigen und dunklen Torgang kamen wir in einen großen Hof mit Wohnungen zu ebener Erde. Im Hof stand ein zweites Haus; es war der Nachbarstraße zugekehrt, in den Hof hinein, und durch große offene Gänge in jedem Stockwerk verbunden. Hier, dicht an der Nebentreppe, in dem unfreundlichen Hof, stand ein offener Sarg, und in ihm lag im weißen Hochzeitskleid der entseelte Körper meiner teuren geliebten Schwester. Das Gesicht war mit einem durchsichtigen Schleier verhüllt, und unter dem Schleier sah ich sie – schlummernd, weiß, still, schön und gleichsam schon von dem Licht der Auserwählten durchstrahlt, die am Tage des Gerichts zur Rechten Gottes sitzen werden. In der Hand hielt sie ein Bild des Gekreuzigten und ein Büschel Blumen, das wir gebracht hatten; zu ihren Füßen lagen Bildlein, von Kindern aus der Nachbarschaft dargebracht...“
(J. B. Foerster: Poutník (Der Pilger), in der Übersetzung von Pavel Elsner)

Auch bei dem 1894 in Hamburg niedergeschriebenen zweiten Klaviertrio stand dieses Bild, das der Ausgangspunkt für die im Vorjahr beendete Symphonie gewesen war, vor den Augen des Komponisten. Aber ein anderes Bild trat mit suggestiver Kraft hinzu: Bei seinem Lieblingskomponisten Edvard Grieg (dem er schon 1890 das 1883 entstandene erste Klaviertrio op. 8 gewidmet hatte) war er auf die Vertonung eines Gedichtes gestoßen, das ihn tief berührte und der Erinnerung an die Schwester eine ganz neue Dimension gab:

Ausfahrt

Es war eine dämmernde Sommernacht,
ein Schiff am Ufer lag,
schon färbte sich der Himmel heller sacht,
es graute der junge Tag.

Und frischer nun wehte die Morgenluft,
zerteilend der Nebel Flor,
und leuchtend stieg jetzt aus ros´gem Duft
die Sonne in Pracht empor!

Das Schiff auch erwachte von nächt´ger Rast
und machte zur Fahrt sich bereit,
bald wehten die bunten Wimpel hoch am Mast,
und blähten die Segel sich weit.

Früh schon sollte es, ein stolzer Schwan,
verlassen den heimischen Port,
ziehn über die glänzende Wasserbahn,
zur duftigen Ferne hin fort.

Und sieh! das Deck nun im Sonnengold
mein junges Weib betrat:
so freudestrahlend, so jugendhold,
wie die Göttin des Glücks wohl naht.

Ihr Auge, die Wimper regend kaum,
schien offen den Himmel zu sehn,
zur Wahrheit wurde ihr sel´ger Traum,
wir sollten zusammen gehn

weit über´s Meer, in Liebe vereint,
zum fernen, herrlichen Süd,
wo ew´ge Sonne dem Wand´rer scheint,
und ewiger Frühling ihm blüht.

Erfüllung nun ward ihrem höchsten Begehr,
sie sollte die Schönheit erschaun,
so zog sie dahin über´s blauende Meer,
die glücklichste aller Fraun.

Gelobt sei Gott, daß nicht weiter sah
ihr Blick in Zukunft Land!
Gar bald, ach gar bald lag still sie da
unterm Rasen am fremden Strand.

(Andreas Munch, Udfarten,
aus dem Norwegischen übertragen von Hans Schmidt)

Edvard Grieg hatte dieses Gedicht 1866 vertont und es an den Schluß einer Gruppe von vier Liedern auf Texte seines Landsmannes Andreas Munch (1811-1884) gestellt, die im Dezember 1866 als Opus 9 veröffentlicht worden war. Die Stimmung dieser Verse und ihr musikalischer Widerhall verwoben sich nun bei Foerster mit dem Bild Mariens zu einem ganz eigentümlichen Akkord, einer komplexen poetischen Chiffre, aus der nach und nach das Trio erwuchs.

Die Kontur der lyrischen Anregung schimmert zwar durch das ganze Werk hindurch, aber – und das ist es wohl auch, was den Komponisten dazu bewog, die Quelle schließlich doch unzitiert zu lassen – wir haben es durchaus nicht mit „Programm-Musik“ im illustrativen Sinne des Wortes zu tun.

Der erste Satz (Allegro energico) ist ganz durchpulst von dem Motiv des sich in unbestimmte Fernen verlierenden „Aufbruchs“, ein Motiv, dem sich eine sehnsuchtsvoll-leidenschaftliche Geste als Seitenthema beigesellt; mit diesen beiden Grundelementen gestaltet Foerster einen knappen, aber sehr rhapsodisch konzipierten Sonatensatz.

Der Mittelsatz (Allegro molto, g-moll) mit seinem breit ausgeführten Trio (Meno mosso, G-Dur) entspricht weit mehr den Regeln des traditionellen Formenkanons. Ein fernes Echo der Mendelssohnschen Féerien ist hier nicht zu überhören; und es ist sehr bezeichnend für Foersters Art, wie er – gleichzeitig mit dem Verlassen des für diesen Topos so charakeristischen G-moll-Terrains – die spielerische Verve des Anfangs schon nach wenigen Takten verebben läßt, und sich die Szenerie in „Böhmens Hain und Flur“ verwandelt.

Ganz rezitativisch ist der Schlußsatz (Adagio, d-moll) angelegt, in dem schon die Wahl der Tonart Teil der Aussage ist: Ein mehrsätziges Werk mit einem langsamen Satz in der destabilisierenden Molldominante zu beenden, ist jedenfalls eine Entscheidung, die sehr weitreichende hermeneutische Konsequenzen hat. Jeder einigermaßen aufmerksame Zuhörer wird – sofern er nicht etwa durch willkürliche Extravaganzen schon gänzlich abgebrüht ist – das Ende des Werkes (trotz des scheinbar versöhnlichen Durakkordes am Schluß des Satzes) als vorläufig betrachten und in Erwartung eines „richtigen“ Finalsatzes verharren. Dem Trio wird dadurch rückblickend die Aura des „Unvollendeten“ verliehen, und auch hierin manifestiert sich – jenseits des offensichtlichen Bezuges auf die Schlußstrophe des Munchschen Gedichtes – die symbolische Ebene des musikalischen Geschehens, das den unterbrochenen, unvollendeten Lebesnweg der Schwester evoziert.

Daß es trotz intensiver Recherchen nicht möglich war, die Uraufführungsdaten des Werkes zu eruieren, ist ebenso symptomatisch wie der Umstand, daß das Trio – genau wie Smetanas op. 15 – ein Vierteljahrhundert lang ungedruckt blieb. Mahler, der 1895 Foersters III. Symphonie in Hamburg uraufgeführt hatte, wirkte seit 1897 in Wien; Berta Lautererová-Foerstrová, die er vor allem als beeindruckende Wagner-Sängerin schätzte, gehörte hier seit 1901 dem Ensemble der Hofoper an. Ihr Mann folgte ihr 1903 nach und wirkte bis zum Zusammenbruch der Donaumonarchie in Wien als angesehener Lehrer und Kritiker. Die Verbindung zur jungen Universal Edition, der die Drucklegung einer ganzen Reihe von Werken Foersters, darunter auch des Trios op. 38, zu danken ist, geht auf diese Wiener Jahre zurück. Ab 1919 wirkte Foerster dann am Prager Konservatorium als Professor für Komposition, mehrere Jahre hindurch auch als Direktor dieser Anstalt, seit 1931 zusätzlich auch als Präsident der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Nach Bertas Tod (1936) lebte er mit seiner zweiten Frau zurückgezogen in Staré Strašnice und während der Sommermonate in seinem Landhaus in Vestec bei Stará Boleslav, wo er in seinem 92. Lebensjahr starb. Der letzte Teil seines ungewöhnlich umfangreichen und nur teilweise erschlossenen Nachlasses, der neben Foersters Kompositionen auch 670 Gemälde und Zeichnungen sowie zahlreiche literarische Werke von seiner Hand umfaßt, wurde erst vor kurzem vom Èeské Muzeum Hudby (Tschechischen Musikmuseum) erworben, das dem Komponisten 2004 in Zusammenhang mit der Eröffnung des neuadaptierten Museumsgebäudes in der Karmelitská eine Sonderausstellung widmen will.

© by Claus-Christian Schuster